Gastbeitrag von Siegfried Hartmann („Itzi“)
Es war einmal ein Dorf, hoch oben auf der windgepeitschten Kuppe der Rhön, wo die Wolken so tief ziehen, dass man ihnen mit der Hand begegnen kann.
Frankenheim hieß es – ein Name, der nach fränkischer Erde klang, nach alten Siedlern, die sich in grauer Vorzeit hier niederließen, wo der Wind das Sagen hat.
Die Alten erzählen, die Rhön sei das „Land der armen Leute“, doch sie wissen auch: Wo Not herrscht, wächst oft auch der stärkste Geist. Wer nach Frankenheim kam, traf auf ein Dorf, das wie aus der Zeit gefallen schien – mit Lehmhütten, Strohdächern und rußgeschwärzten Wänden. Und doch lag über allem eine stille Würde, ein trotziges „Dennoch“, das sich nicht unterkriegen ließ.
Die große Finsternis – und das Wunder von 1876
In einem kalten Frühjahr, im Jahre 1876, kam das Unglück mit der Typhuskrankheit wie ein unsichtbarer Wolf ins Dorf geschlichen. Viele starben, ganze Familien wurden ausgelöscht. Man sprach von einem Fluch. Doch wo andere zerbrechen, dort begann in Frankenheim das Wunder.
Von fern kam Hilfe. Es heißt, die Frau Großherzogin Sophie habe in einer nächtlichen Vision vom Elend des Dorfes erfahren und ihre Hand schützend darüber gehalten.
Sie sandte Geld, Baumaterial, Schwestern vom Sophienhaus – und neue Hoffnung. Häuser wurden errichtet, Wiesen geordnet, eine Quelle gefasst. Die Menschen bekamen Brot, Kleidung – und Würde zurück.
Seit jener Zeit erzählt man sich, dass über dem Ort ein neuer Stern aufgegangen sei, und wer aufmerksam durch Frankenheim schreitet, könne manchmal ein leises Klingen hören, wie von Glocken aus einer unsichtbaren Kapelle.
Der Schwedenoffizier und das Kreuz aus Stein
Doch die Geschichte Frankenheims reicht tiefer, bis ins düstere 17. Jahrhundert, als der Dreißigjährige Krieg wie eine schwarze Krähe über das Land zog.
Damals lagerten schwedische Truppen auf der Hochrhön, ihre Lagerstätten nannten die Leute „Schwedenschanzen“.
Noch heute zeigen sie den Fremden das Schwedenkreuz, ein großes steinernes Kreuz ohne Schrift. Es heißt, dort ruhe ein schwedischer Offizier, der in einer Winternacht vom eigenen Hauptmann getötet wurde – aus Eifersucht oder Wahnsinn.
Wenn der Wind aus Nordwesten kommt, hört man sein Wispern zwischen den Fichten, so erzählt man es sich.
Das Volk der Harten – aber mit Herz
Die Frankenheimer waren nie zart besaitet. Blauäugig, wettergegerbt und von kräftigem Wuchs trotz magerer Kost – ein Volk, das mit wenig auskam, aber viel trug. Aus Kartoffeln und „Buzebrühe“ machten sie Mahlzeiten, aus Not machten sie Tugend.
Viele zogen gen Westen, nach Westfalen, in die Zuckerfabriken und Zechen. Doch immer kehrten sie zurück – zu ihren Feldern, ihrem Wind, ihren Wäldern.
Und wenn der Mai doch einmal seine blühenden Schleier über das Land legt, dann lebt das Dorf auf wie ein Lied, das man fast vergessen hätte.
Dann ziehen Rinder auf die Weiden, Kinder suchen Himbeeren, und die Alten sitzen vor den Häusern, erzählen – von einst, von jetzt, und von den Dingen, die kein Fremder je ganz begreifen wird.
Die Einladung der Berge
Wer heute nach Frankenheim wandert, folgt dem Ruf eines alten Landes. Vielleicht begegnet er einem Nebel, der Geschichten flüstert. Vielleicht einem Stein, der schweigt.
Oder einer Stimme, die aus dem Wind ruft: „Willkommen auf der Hohen Rhön – wo die Armut einst wohnte und das Leben dennoch siegte.“